Symposiumsbericht „Brückenschlag: Lernprozesse in analogen, hybriden und digitalen Formaten“

Gastbeitrag von Daniel Heßler

Lesezeit 5 Minuten
Das 4. QUADIS Symposium “Brückenschlag: Lernprozesse in analogen, hybriden und digitalen Formaten” fand am 9. und 10.10. an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und am 11.10. an der FAU Nürnberg statt. Das Verbundprojekt QUADIS vernetzt Hochschuldidakt:innen, Lehrende und Studierende in Bayern und darüber hinaus. Seine Aufgabe ist es, die digital gestützte Lehre an bayerischen Hochschulen zu verbessern und Austausch über digitale, analoge und hybride Formate zu verbessern. Ca. 200 Teilnehmende waren anwesend, davon etwa die Hälfte in Präsenz.

In Präsenz- und Hybrid-Vorträgen und -Workshops wurden Tools, Best Practices, Forschungsergebnisse und Reflexionen zu hochschuldidaktischen Fragestellungen im Kontext der Digitalisierung präsentiert. Bayerische Hochschulen waren besonders stark vertreten, aber es gab auch zahlreiche Beiträge aus anderen DACH-Regionen. Das vollständige Programm ist abrufbar unter https://pretalx.com/brueckenschlag/schedule/#2023-10-11 .

Die Transformation der Hochschullandschaft im Zuge der Digitalisierung schlug sich in sämtlichen Vorträgen nieder. Dieser Bericht umreißt die dominanen Themenfelder.

Häufig wurden die Empfehlungen des deutschen Wissenschaftsrats (2022) thematisiert, die grundlegende Reformen im Lehrbetrieb anmahnen (Link: https://www.wissenschaftsrat.de/download/2022/9699-22.html). Darin wird nicht weniger als eine Verschiebung der Prioritäten von Quantität (in Form von Prüfungsanzahl, ECTS-Punkten, Benotungen) zu Qualität gefordert, „von Wissen akkumulierenden und reproduzierenden Formaten hin zu intensiverer Reflexion, intellektueller Eigenständigkeit und Handlungsfähigkeit; […] von vorgabenorientierten, vereinheitlichenden und formalisierten Verfahren hin zu Gestaltungsspielräumen, lernenden und gemeinschaftlichen Prozessen“ (S. 7). Unter Anderem hat sich der Wissenschaftsrat für ein akademisches Mentorat als eigene Lehrform (wie Vorlesung, Seminar usw.) ausgesprochen; das könne Studienanfänger:innen helfen, an der Hochschule als Institution anzukommen und eine konstruktive Fehlerkultur zu entwickeln. Für mehr Flexibilität wird die Einführung von Curriculumswerkstätten empfohlen, in denen auch Studierenden Mitsprachemöglichkeiten eingeräumt werden, um auf rapide technische wie kulturelle Veränderungen reagieren zu können. Der Wissenschaftsrat empfiehlt auch, „die Anzahl von Lehrveranstaltungen  und  Prüfungen  zu  reduzieren  und  dadurch  mehr Freiräume für Reflexion, die Ausbildung einer forschenden Haltung und vielfältige Studienverläufe zu schaffen“ (S. 9).

Diese Empfehlungen sind umso virulenter, als sinkende Studierendenzahlen an allen staatlichen Hochschulen zu verzeichnen sind. Dass es sich auch um Spätfolgen der Corona-Pandemie handeln mag, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die technische Weiterentwicklung von Hochschulen oft weniger wegen fehlender technischer Ausstattung langsam voranschreitet, als an bürokratischen Hürden und fehlender Planungssicherheit für Treiber:innen der Transformation. Lehrende haben noch immer wenig Anreize, ihren Unterricht blended, Just-In-Time und feedbackorientiert anzubieten, als Beschäftigungsverhältnisse in überwältigender Mehrheit befristet sind, und bei Berufungsentscheidungen noch immer regelmäßig die Publikationszahl über die Lehrerfahrung gestellt wird. Somit präsentierten sich auf dem Symposium die erfreulichen Ausnahmen innovativer Lehrpraxis, eine hochschuldidaktische Avantgarde.

Hinzu kommt wachsende Konkurrenz durch privat finanzierte Bildungsanbieter, deren Angebote sich deutlich flexibler gestalten, und deren Zertifikate in der US-amerikanischen Industrie schon heute mitunter als gleichwertig zu Universitätsabschlüssen behandelt werden – mit dem Vorteil, dass die tatsächlichen Fähigkeiten der Absolvent:innen klarer eingeschätzt werden können, und die Finanzierungsmodelle sich weniger elitär gestalten, als an US-amerikanischen Elite-Colleges. Zu moderaten Preisen gesellen sich auch komplett umgestellte und teils Kryptowährung-orientierte Finanzierungsmodelle, in denen finanzierenden Firmen Recruiting-Privilegien eingeräumt werden und Lernende sogar für Lernerfolge bezahlt werden, statt Semesterbeiträge zu leisten.

Zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz in der Lehre, insbesondere ChatGPT, wurden mittlerweile einige Erfahrungen gesammelt, die auch vorgestellt wurden. Insbesondere Techniken zur kritischen Reflexion von prozedural erzeugten Inhalten wurden vorgestellt, wie auch Forderungen formuliert: dass Deutschland ein eigenständiges Sprachmodell benötige, ohne US-amerikanische Biases; dass jedes Lehramtsstudium Anteile von Data Science und Statistik benötige; dass auch in MINT-Fächern eine stärkere Orientierung zu kritischer Reflexion und Methodentransfer nötig sei; dass die Eignung von Hausaufsätzen als sinnvolle Prüfungsform grundsätzlich zu hinterfragen sei.

Es werden zunehmend mehr Open Educational Resources (OER) hergestellt, wenn auch ihre Nutzung wenig verbreitet ist. Noch immer wird die Hochschullehre beherrscht von Unterrrichtsstilen nach Art einer „One-Person-Show“, in der Dozierende viel Zeit aufwenden, um Lehrmaterialen selbst herzustellen und selbst verbal zu vermitteln. Die Teilnehmenden sprachen sich mehrheitlich dafür aus, stattdessen mehr Zeit in persönliches individuelles Feedback für Lernende zu stecken, unter Zuhilfenahme von OER. Das Land Bayern konnte durch QUADIS bereits einige OER in der Datenbank https://oer.vhb.org zusammenstellen und bittet um Beiträge zur Vervollständigung.

Es wurden auch einige Erfahrungen mit digitalen Prüfungsformen präsentiert. Aus mehreren Gründen sind diese für Studierende häufig mit größerem Stress verbunden, weil Hardware-Probleme befürchtet werden und der Umgang mit Lockdown-Browsern erst erlernt werden muss. Grundsätzlich scheint weitgehende Einigkeit zu herrschen, dass kein digitales Tool geeignet ist, den persönlichen Austausch zwischen Lernenden und Lehrenden adäquat zu ersetzen. Lehrerfahrungen in virtuellen Umgebungen sind nicht notwendig immer schlechter als in Co-Präsenz. Doch jedes Tool bringt seine eigenen medialen Eigenschaften mit, die eine Lehrsituation grundlegen verändern können. Die erste Frage in der Konzeption von Lehrveranstaltungen und Prüfungen sollte also didaktisch gestellt und beantwortet werden. Welches Tool sich für die spezifischen didaktischen Methoden eignet, ist dem notwendigerweise nachgeordnet.

In organisatorischer Hinsicht ist die Gründung einer neuen Arbeitsgruppe hervorzuheben, die unter dem Arbeitstitel „Spielen geht immer“ aus dem Zusammenschluss zweier vorhandener hochschuldidaktischer Initiativen in Bayern entstand: dem Arbeitskreis “Gaming the System” und der Arbeitsgruppe “Spielen–Lernen”. Diese beschäftigen sich im Schwerpunkt mit Game-Elementen und Gamification in der Lehre, in enger Verbindung mit dem Empamos-Projekt an der TH Nürnberg, das Spielmechanik-Patterns empirisch erforscht. Parallel traf sich auch die Arbeitsgruppe zum Einsatz digitaler Lehr-Lern-Labore in der Lehrkräfteausbildung.